NORDSEE: Kleiner Frachter taumelt durch den Sturm

Was für ein Video: Der kleine Frachter „Clarissa“, etwas mehr als einhundert Meter lang, kämpft sich durch einen Sturm auf der Nordsee.

Noch hat sich der Kapitän nicht dafür entschieden, das Schiff gegen die Wellen zu stellen, um den Orkan abzureiten. Die Wogen kommen von der Seite – was Seeleute in der Regel vermeiden. Der Kapitän scheint also entweder sehr erfahren zu sein oder seiner „Clarissa“ zu vertrauen. Gute Nerven hat er in jedem Fall – die Wellenberge, die von Steuerbord durchlaufen, sind wirklich furchteinflössend…

Was Seeleute in einem schweren Orkan mitmachen, gerade auf kleineren Frachtschiffen, erzählt Kapitän Schwandt in seiner gerade erschienenen Biographie „Sturmwarnung.“ Ein kurzer Auszug:

„Dieser Sturm ist anders, wilder, wütender als alles, was ich bislang erlebt habe, und kein Offizier muss uns den Befehl geben, die Blenden vor den Bullaugen zu verschrauben. Als Seeleute auf einem Schiff der Linie Hamburg-Chicago sind wir es gewohnt, dass der Nordatlantik im Herbst sein Spiel mit uns spielt, doch diesmal können wir uns kaum mehr auf den Beinen halten. Harte Schläge gehen durch das Schiff, das durch die Wellen schlingert, beinahe umgeworfen wird, und wenn es in ein Wellental eintaucht, jaulen die Maschinen auf, weil die Schraube frei in der Luft dreht. Die Schreie des Sturms sind zu hören, sonst ist es still an Bord. Alle tragen Ölzeug, weil es in jedem Moment einen Einsatz geben kann, wir klammern uns irgendwo fest oder liegen in den Kojen.

Niemand spricht. Es gibt nichts zu sagen.

In den frühen Morgenstunden dreht der Wind von West, Beaufort fünf, auf Südsüdwest und frischt immer weiter auf. Gegen Mittag messen wir bereits mehr als zehn Beaufort, weiter zunehmend. „Wasser über Deck, Luken und Aufbauten“, vermerkt der Kapitän im Schiffsjournal. Kurz nach fünf erreicht der Sturm Orkanstärke.

Das Schiff kämpft mit den Wellen, Brecher schlagen auf Back und Luken, das Schiff taumelt mit langsamer Fahrt voran, durch die schwerste See, die ich je erlebt habe. Ich warte in der Mannschaftsmesse ab und rauche. Niemand spricht, denn es gibt nichts zu sagen.

Dann: ein furchtbarer Schlag! Das Licht geht aus. Die Maschinen laufen nicht mehr. Es ist still und dunkel, und ich spüre, dass wir quer zur See treiben. Über das Bordtelefon versuche ich, die Brücke zu erreichen, doch die Leitung funktioniert nicht. Und jetzt? Als dienstältester Matrose fühle ich mich verpflichtet, nachzusehen, ob ich helfen kann. Ich will versuchen, von achtern nach mittschiffs zu gelangen und taste mich im Schein einer Taschenlampe durch die Betriebsgänge.

Auszug aus Sturmwarnung

Stimmen sind in der Dunkelheit zu hören, man kann Besorgnis, auch die Angst heraus hören, doch Angst lasse ich nicht zu, erlaube ich nicht, denn dafür ist nun keine Zeit. Durch den Ausgang der Kombüse trete ich hinaus aufs Achterdeck, wo mir der Orkan den Atem nimmt, es ist, als wolle er in seiner Wut alles Leben davon reißen. Das Meer und die Gischt und die Luft vermischen sich, die Sicht ist minimal. Man fühlt sich manchmal so winzig, so klein und so unbedeutend auf See, besonders aber in einem solchen Moment. In diesem Inferno, in dem einem die Macht der See bewusst wird.“ (…)

STURMWARNUNG gibt es in jeder Buchhandlung & hier bei uns im Shop.

 

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