Die Bestürzung über das Unglück des Großseglers „Cuauhtémoc“ in New York ist groß. Zwei junge Seeleute verloren ihr Leben, als das Segelschulschiff mit der Brooklyn Bridge kollidierte. Zum Zeitpunkt des Unglücks befanden sich die beiden Matrosen auf einem der rund 48 Meter hohen Masten des beleuchteten Dreimasters.
Kadetten hatten keine Chance
Sie stürzten in die Tiefe, als sich die Takelage in der Brückenkonstruktion verfing und die Masten abknickten. Videoaufnahmen zeigen, wie ein Besatzungsmitglied noch versucht, sich an einem Seil zu halten – vergeblich. Insgesamt wurden 22 Kadetten verletzt, einige von ihnen schwer.
Das Schiff hatte zuvor von einer Pier in Manhattan abgelegt. Anstatt wie vorgesehen den Hafen Richtung Meer zu verlassen (Kurs Island), trieb es aus bislang ungeklärter Ursache rückwärts den East River hinauf – direkt auf die Brooklyn Bridge zu. Augenzeugen berichten, ein Schlepper habe noch versucht, die „Cuauhtémoc“ zu positionieren. Zwar habe das Schlepperboot das Segelschiff angestoßen, jedoch bestand keine feste Verbindung zwischen den beiden.
Ermittlungen werden Monate dauern
US-Küstenwache und Polizei haben die Ermittlungen aufgenommen. Neben technischen Fragen sollen auch die Kommunikation an Bord, die Kursplanung und das Notfallmanagement untersucht werden. Die Polizei geht ersten Hinweisen zufolge von einem Ausfall des Antriebs aus In einer Stellungnahme der Stadtverwaltung New York ist von einem möglichen "mechanischen Defekt" die Rede. Es wird vermutlich Monate dauern, bis der Untersuchungsbericht vorliegt.
In den Sozialen Medien verbreiten sich - leider neben geschmacklosen Scherzen - viele teils seltsame Theorien zum Unglück. Wir haben Klaus Ricke gefragt, einen der erfahrensten Kapitäne von Großseglern im Norden. Ricke, Jahrgang 1937, war 27 Jahre lang Lotse auf Jade und Weser und Hafenlotse in Wilhelmshaven. Er steuert das berühmte Segelschiff "Alexander von Humboldt" um Kap Horn und gilt beinahe als Legende der See. In unserem Buch "Kapitäne" erzählt Ricke Geschichten aus seinem aufregenden Leben auf den Meeren.
"Ich habe die Cuauhtémoc während eines Hafenfestes bei uns im Norden besucht", sagt Ricke, der auch zwei Jahre lang New York als "Heimathafen" hatte; er kennt sich also auch mit der starken Strömung auf dem East River aus. "Es ist furchtbar, was passiert ist", sagt Ricke. Die jungen Leute in der Rigg hätten "keine Chance" gehabt, als das Schiff auf die Brücke zutrieb. "Sie konnten nicht schnell genug herunterklettern, weil sie sich wegen der Enge gegenseitig blockierten", sagt er.
"Waren Anker klar zum Fallen?"
Was den Kapitän wundert: "Waren die Anker wirklich klar zum Fallen?" Ricke hat sich die Videos genau angesehen und festgestellt, dass die Anker in den Klüsen hingen. Im Notfall können die Anker ein Schiff aufstoppen - doch der Kapitän der „Cuauhtémoc“ tat es nicht. "Es tun sich viele Fragen auf, die nicht nur die Behörden, sondern auch die Marine genau klären werden", meint Ricke. Auch die passive Rolle des Schleppers erstaunt ihn.
Mit seiner Erfahrung habe er die Kadetten nicht zum Auslaufen ins Rigg geschickt. Beim Auslaufen von Segelschulschiffen ist dies zwar üblich. "Es sieht schön aus, keine Frage. Aber die Stelle im East River ist dafür aus meiner Sicht dafür zu gefährlich".
Die Cuauhtémoc bei einem Hafenfest in Frankreich. (Foto: Adobe Stock)