Grundsätzlich kann man mich tierlieb nennen. Und rein oberflächlich betrachtet sind die Wesen, über die ich heute schreibe, ja auch echt schön: schneeweiße und graue Federn, hübsch geschwungener Körperbau und diese majestätischen Flugkünste.
Doch wenn man dauerhaft mit ihnen „zusammengelebt“ hat – also, wenn man sie 16 Jahre lang im Alltag auf Juist erlebte, dann entwickelt man zu Möwen eine Art Hass-Liebe. Man sammelt Erfahrungswerte: Möchte man auf einer Insel draußen frühstücken, dann niemals die Brötchen zuerst auf den Tisch stellen! Sorglos und in Ruhe noch die Butter, Marmelade und den Aufschnitt holen? Ist nicht. Die Brötchentüte liegt nämlich garantiert zerfleddert auf dem Boden und der Inhalt ist verschwunden.
Ein romantischer Abend? Nicht mit Mister Möwe
Ein Abend am Strand mit Sonnenuntergang, Rotwein und einer bestellten Pizza? Wird ab dem Moment wenig romantisch, wenn man seine Pappschachtel gegen gezielte Angriffe aus der Luft verteidigen muss.
Besonders wenn man abgelenkt – beziehungsweise gerade beschäftigt ist, picken die Möwen zu. Während man nämlich versucht, sich mit dem vom Wind und von der Sonne tropfenden Eis nicht vollends zu bekleckern – oder ins Fischbrötchen zu beißen, ohne dass einem der Inhalt komplett auf die Hose klatscht – kommt von hinten plötzlich ein Schatten. Noch bevor man „Hey!“ rufen kann, blickt man verdutzt auf die leere Faust.
Die Juister Möwen wissen, dass Touristen Futterlieferanten sind, und arbeiten als Teams zusammen. Ich habe das mehrfach beobachtet: Das Opfer (Eiswaffel, Fischbrötchen, siehe oben) schlendert ahnungslos die Hauptstrandstrasse lang. Von hinten nähert sich eine Möwe und zieht die Aufmerksamkeit der Zielperson auf sich, nicht ahnend, dass im Hintergrund schon zwei weitere gefiederte Räuber auf einem Hausdach warten. Sobald das Opfer die Beute vor dem ersten Angreifer in Sicherheit bringen will und den Arm nach oben reißt, schlagen die „Komplizen“ zu und erledigen den Rest. Eine fliegenden Diebesbande.
Für die Möwe ist der Tourist Futterlieferant
Da soll mir doch nochmal einer erzählen, Tiere könnten nicht denken!
Und dann gibt es eben diese anderen Möwen-Momente auf so einer Insel. In denen geht es den Tieren nicht um Gier, Futterneid und Hunger – sondern ganz offensichtlich um Spaß
Wie oft habe ich schon Stunde um Stunde in einem Strandkorb gesessen und den Juister Möwen bei ihren Flugmanövern zugeschaut. Wie sie erst gegen den Wind kämpfen, mühsam mit ihren doch großen Flügeln gegen den Sturm „anrudern“, dann plötzlich die Richtung wechseln, große Schleifen, Bögen und Kurven ziehen. Bei so einem Anblick fliegendem Meer Glück bin ich dann immer versöhnt mit den „Ratten der Lüfte“, wie sie manche nennen.
Sie können gerne ein Fischbrötchen abholen.