Ich lebte noch auf der Straße. Ich war im Hauptbahnhof unterwegs und ging die Treppen der Wandelhalle nach oben. Von dort konnte ich sehen, dass überall Menschen auf Isomatten lagen. Barfuss vor dem Görtz Schuhgeschäft oder schmutzig vor dem Body Shop. Flüchtlinge, die direkt aus dem Krieg nach Hamburg kamen. Das hat mich berührt.
Ich habe mir damals vorgestellt, was diese Menschen durchmachen mussten, um jetzt auf dem Boden zu liegen. Mit diesem Boden kannte ich mich aus. Ich wusste, was alles auf sie zukommen würde. Das Warten, der Frust, die Unsicherheit. Ich wusste, ich konnte ihnen helfen. Oft ging ich mit nach Harburg, wo die Erstaufnahme war. Im dem alten Postgebäude wurde man als Erstes registriert, bevor es in eine weitere Unterkunft ging. Ich konnte überall mit hinein. Die meisten Menschen, denen wir in diesen Tagen begegneten dachten wohl, ich gehöre dazu. Sie hielten mich für einen Geflüchteten. Ich konnte allerdings alles verstehen, was sie sprachen. Was über die Geflüchteten gesagt wurde.
Glauben an das Gute
Zum Beispiel, dass die Menschen wie Tiere seien. „Schade nur, dass man die hier nicht schlachten kann“, hörte ich. Dabei ist es egal ob ich in einer Flüchtlingsunterkunft war im Winternotprogramm. Ich hörte sie reden, auch Worte wie „vergasen“ fielen.
In Harburg sah ich ein Baby, das mit dem Kopf auf einem Stück Karton lag, mitten in einem völlig überfüllten Flur. Draußen war es kalt. Eine alte Frau saß auf einem Stuhl. Im Inneren des Gebäudes durften sich die Menschen nicht auf den Borden setzen. Es war stickig. Die alte Dame saß in der Kälte, weil sie den Gestank nicht mehr ertrug. Ich konnte nicht glauben, was ich sah. Für einen Moment habe ich nicht mehr an dieses Land geglaubt und an das Gute in den Menschen.
Hamburg hilft
In der Kleiderkammer habe ich den Glauben an das Gute wiedergefunden. Vor drei Jahren war ich von morgens bis abends mit tausenden anderen Helfern in der Messehalle aktiv. Hamburg hilft! Ja, das tun wir. Wir waren damals bunt und wir sind es heute auch noch.
Drei Jahre später bin ich auf der Seebrücken-Demo an den Landungsbrücken. So viele Menschen sind dieses Jahr im Mittelmeer ertrunken. Ich bin diesen Sommer gerne schwimmen gegangen. Ich bin abgetaucht und habe unter Wasser die Augen geöffnet. Oft habe ich darüber nachgedacht, ob jemand anderes jetzt grade die Sonne ein letztes Mal sieht. Ich tauche auf. Ich lebe. Gleich hole ich mir Pommes rot-weiß.
Ich bin für sichere Häfen und dafür, dass man jeden Menschen in Seenot rettet. Kein Mensch soll ertrinken.