„Papa, wach auf! Da läuft jemand übers Deck!“
Es ist Nacht, kurz nach halb drei Uhr in Harlingen, der Wind pfeift ums Schiff. Durch das Bullauge sieht man die Lichter des Hafens. In der Nachbarschaft liegen einige Trawler, die von hier rausgehen auf die Nordsee.
Meine älteste Tochter hat mich geweckt. Wir sind an Bord eines ehemaligen DDR-Schleppers, der heute als schwimmendes Ferienhaus zum Einsatz kommt. Den Abend verbrachten wir im Brückenhaus und tranken Tee, während Herbstregen an die Scheibe trommelte.
Nun sollten wir längst schlafen, um am frühen Morgen die Fähre rüber auf die Insel Vlieland zu nehmen.
Tapp-Tapp-Tapp-Tapp-Tapp-Tapp.
Jetzt höre ich es auch. Ganz eindeutig: das sind Schritte.
Da geht jemand übers Deck!
Doch wer? Und warum, um diese Uhrzeit? Der Zugang zum Schiff ist mit einem schweren Tor gesichert.
Das Gruselschiff im Hafen
Ich schlüpfe in einen Pullover, nehme die Treppe, ein Deck höher. Ein paar Schritte sind es zur Tür, schnell den Riegel umgelegt. Ich trete hinaus auf Deck. Der Wind pfeift, es ist wirklich ungemütlich. Regen fällt, Neonlicht liegt wie eine Decke über Hafen und Pier.
Doch niemand ist hier.
Ich beuge mich etwas vor, um die Gangway einsehen zu können. Wer an Bord will, muss auf den Anleger und dann eine Tür öffnen. Sie ist fest verschlossen. Wer sollte auch mitten in dieser verregneten Nacht an Bord wollen? Wir müssen uns wohl doch verhört haben.

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Also Tochter beruhigen, alle zurück in die Kojen, Licht aus.
Gute Nacht, schlaft schön.
Der Wind pfeift gemütlich ums Schiff.
Wieder diese Schritte, ganz eindeutig. Schwere Schritte.
Tapp-Tapp-Tapp-Tapp-Tapp-Tapp.
Das kann doch nicht wahr sein!
Ich renne nach oben und zur Tür, lege den Hebel um und stürze raus aufs Deck. Wieder niemand zu sehen.
Was ist hier los?
Ich kann ich nicht einschlafen. Mal sehen, welche Historie das Schiff hat: Es war nicht auf den sieben Weltmeeren im Einsatz, sondern vor allem in der Ostsee. Vor allem vor dem Hafen von Rostock, bevor sie verkauft wurde. Gebaut wurde sie im VEB Edgar Andre Werft in Magdeburg, als einer von fünf Schleppern dieses Typs. Zwei sind verschollen, einer abgewrackt, einer operiert heute irgendwo an der afrikanischen Ostküste, zuletzt vor Kenia.

Das Schiff, so steht es in einem Artikel, war als schwimmende Abtreibungsklinik vor der Küste von Danzig im Einsatz. Im Einsatz für eine Gruppe von Frauenrechtlerinnen.
Während ich mit dem Daumen auf der Seite scrolle und lese, geht es wieder los.
Tapp-Tapp-Tapp. Kurze Pause. Tapp-Tapp. Tapp.
Ich glaube nicht an Übersinnliches, kein bisschen, doch die Frage schwebt nun über der Koje wie ein Gespenst: Spukt es an Bord?
Der Wind pfeift ums Schiff, und irgendwann ist die Müdigkeit stärker. Das Schiffshorn der Terschelling-Fähre weckt uns. Erstmal ein Becher schwarzer Kaffee auf der Brücke.
Die nächste Übernachtung in Harlingen buchen wir garantiert wieder in einem Hotel an Land.
























