Wenn Seeleute früher von Monsterwellen berichteten, dann wurden sie belächelt: Seemannsgarn sei das. Nicht ernstzunehmen. Heute weiß man: Monsterwellen sind real - und eine echte Gefahr für Schiffe jeder Größe.
Monsterwellen tauchen plötzlich aus dem Nichts auf und bedrohen mit ihrer rohen Gewalt selbst große Schiffe und Windparks. Eine aktuelle Studie des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) zeigt nun, dass die Häufigkeit dieser Extremwellen in der Nordsee deutlich höher ist als bislang angenommen.
Laut der Untersuchung „Freak Waves II“ treten die gefährlichen Wellen vor allem in der südlichen Nordsee häufiger auf, als es theoretische Modelle bislang vorhergesagt haben. „Nichts ist vor ihnen sicher“, warnt das BSH in einer Pressemitteilung.
Extremwellen – auch als Freak Waves oder Rogue Waves bekannt – sind per Definition mindestens doppelt so hoch wie der Durchschnitt der höchsten Wellen eines Seegangs. Besonders gefährlich ist ihre steile Vorderfront und das plötzliche Auftreten, das Seeleuten kaum Zeit zur Reaktion lässt.
Zwei Schiffsunglücke pro Woche weltweit
Durchschnittlich zwei Schiffe pro Woche sinken weltweit aufgrund schlechten Wetters, oft sind Monsterwellen die Ursache. Doch nicht nur die Schifffahrt ist betroffen. Auch Offshore-Windparks und Forschungsplattformen in der Nordsee sind bedroht.
Beispiele gibt es einige: Im Dezember 2013 zerstörte eine Extremwelle im Orkan Xaver das 15 Meter hoch gelegene Zwischendeck der Offshore-Forschungsplattform „Fino“, die rund 45 Kilometer nördlich von Borkum liegt. 1995 kamen zwei Seenotretter der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) mutmaßlich durch eine Extremwelle ums Leben. Die „Alfred Krupp“, im Einsatz zur Rettung Schiffbrüchiger, wurde von einer riesigen Welle getroffen und umgeworfen. Auch das spurlose Verschwinden des Frachters "München" der Hamburger Reederei Hapag-Lloyd im Atlantik 1978 führt man auf den Einschlag einer Monsterwelle zurück.
Die neue BSH-Studie untermauert, dass vor der Insel Norderney die meisten Extremwellen entstehen. Hier zeichnete eine Messboje auf, dass etwa jede 5800. Welle eine Extremwelle ist. „Damit traten hier im Vergleich die meisten Extremwellen auf“, sagt Ina Teutsch vom Helmholtz-Zentrum Hereon.
Um diese Naturgewalt besser vorhersagen zu können, testeten die Forscher des BSH zwei verschiedene Ansätze Künstlicher Intelligenz. Diese soll die Wahrscheinlichkeit einer Extremwelle in den jeweils kommenden zehn Minuten prognostizieren. Die bisherigen Ergebnisse seien vielversprechend, doch ein praktischer Einsatz sei frühestens in drei Jahren möglich.
Monsterwellen sind keine Tsunamis
Hintergrund: Im Gegensatz zu Tsunamis, die meist durch Erdbeben entstehen, werden Extremwellen durch Wind und das Zusammenspiel anderer Wellen erzeugt. Unter Seeleuten sind sie auch als „Kaventsmänner“ gefürchtet – gewaltige Wasserwände, die plötzlich und unerwartet aus dem Meer schießen und alles in ihrer Bahn verschlingen können.
Für Norderney und die Nordsee bedeutet die Studie, dass die maritime Sicherheit in den kommenden Jahren weiter gestärkt werden muss. Denn eines ist sicher: Die Monsterwellen der Nordsee sind kein Seemannsgarn. Sie sind real – und sie kommen häufiger, als man bisher annahm...