VON ISLAND BIS LANZ – Mein Jahr mit Kapitän Schwandt - Ankerherz Verlag

VON ISLAND BIS LANZ – Mein Jahr mit Kapitän Schwandt

HAIFISCH BAR Geschichten: Eine Frage der Manieren Du liest VON ISLAND BIS LANZ – Mein Jahr mit Kapitän Schwandt 5 Minuten Weiter GLÜCKLICH SEIN: ein Gedicht vom Meer

Die Nacht war warm und so hell, dass uns ein Sonnenbrand drohte. An Bord einer kleinen Fähre, der „Silvana“, waren wir hinaus zum Leuchtturm von Sälskär gefahren, ganz im Norden der Aland-Inseln, einem Labyrinth in der Ostsee zwischen Finnland und Schweden. Die anderen Passagiere, knapp ein Dutzend, spazierten los, doch Kapitän Jürgen Schwandt steuerte gleich einen großen Stein an. Rauchpause, klar.

„Jung, lass’ sie gehen“, brummte er und zog eine Zigarette aus seiner Weste.

Vor sechzig Jahren hatte hier in Finnland seine Laufbahn als Seemann angefangen, als junger Matrose eines Gaffelschoners, der Holz für englische Kohlegruben holte. Nun sollte sich der Kreis schließen: Auf den Aland-Inseln wollten wir darüber reden, worauf es im Leben ankommt, welche Erfahrungen der Kapitän aus 80 Jahren zog, aus „80 Sommern“, so sollte das neue Buch heißen. Die Idee kam nach tausenden Mails, in denen Leser den Kapitän um Rat fragten: „Wie hält meine Ehe?“, „Was mache ich mit meinem Schwager, der rechtsextrem ist?“ oder: „Wie höre ich mit dem Rauchen auf?“

Kapitän Schwandt: „Popstar mit 80“

Aus Kapitän Schwandt war so etwas wie ein „Kummerkasten-Onkel“ des Nordens geworden, wie er selbst witzelte. Was in diesem Jahr geschehen war, hatte uns alle überrascht – und auch überwältigt. Im Februar fuhren wir mit dem Schiff nach Island, um an den letzten Feinheiten von „Sturmwarnung“ zu arbeiten, und gerieten auf dem Nord-Atlantik in einen schweren Sturm. Der Kapitän fand es herrlich, ich nicht so sehr. Auf Island erwartete uns ein heftiger Schneesturm, wir blieben gleich mit dem Auto stecken.

   

Als „Sturmwarnung“ dann im April erschien, lud die Redaktion von Markus Lanz in die ZDF-Talkshow ein. Der Käpt´n brachte mit seinen wilden Stories (inklusive dem „Tigersprung“ vom Kronleuchter im Puff von Lissabon) selbst Reiner Calmund zum Schweigen. Am nächsten Morgen stand das Buch bei Amazon auf Platz 1 – und in den nächsten 30 Wochen in der SPIEGEL-Bestsellerliste.

Es folgten Einladungen von weiteren Talkshows (die wir mit Ausnahme der NDR Talkshow ablehnten), von Firmen, von Vereinen, von anderen Insitutionen, die wir allesamt absagen mussten. Kapitän Schwandt wurde im Juni 80 Jahre alt – da arbeitet man nicht mehr wie mit 38. Das Interesse aber nahm immer weiter zu. Seiner Facebook-Seite folgen heute mehr als 158.000 Fans. „Kapitän Mutig“, nannte ihn die dpa, „Kapitän Rückgrat“ der Stern, und bei einer Lesung in München erhoben sich die Besucher im Theater, als er nur reinkam.

     

Mit Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholzdiskutierte er in der Haifisch Bar die aktuelle Lage, mit Erwin Sellering, dem Ministerpräsidenten von Mäck-Pom, fuhr er raus auf die Ostsee. Ein offener Brief, den Schwandt voller Empörung an den AfD-Politiker Alexander Gauland adressierte, verbreitete sich millionenfach im Netz, und als er sich mit Pegida auf deren Facebook-Seite anlegte, unterstützen zehntausende Menschen seinen Protest. Die Rechtsdraußen hatten ein Foto gepostet, das ein Schlauchboot in Seenot zeigt und darunter einen menschenverachtenden Spruch, der mit einer „Mittelmeerbreite Abstand“ zu tun hatte.

Kapitän Schwandt in Santa Fu

Offen einzustehen gegen rechte Tendenzen ist eine Konstante in den Kolumnen gewesen, der Einsatz für Minderheiten, für Schwache und Menschen am Rande eine andere. Schwandt schrieb für die Belange von Obdachlosen, für die er bessere Unterbringungsmöglichkeiten fordert, vor allem im Winter, er beschreibt die Folgen der innerstädtischen Gentrifizierung – und er hatte früh ein besonderes Anliegen. Er wollte in „Santa Fu“lesen, dem bekanntesten Knast Deutschlands, inspiriert von Johnny Cash und dessen Konzert im Folsom Prison. Später Ruhm und Einsatz für Außenseiter – dies sind die Gemeinsamkeiten zu Johnny Cash, den Kapitän Schwandt verehrt

Der späte Ruhm – was macht das?

Der späte Ruhm – wie fühlt sich das an? „Mir ist das alles umheimlich“, sagte Schwandt, als wir auf der Leuchtturminsel über den Erfolg sprachen. Autogramm zu geben, für Selfies zu lächeln, das ist neu für einen alten Kapitän. Bei Dreharbeiten für einen NDR-Fernsehbeitrag stand er im Hamburger Hafen, als eine Fähre vorbei kam. „Käpt´n, wo wollen Sie denn hin?“, rief der Fährmann. Schwandt zeigte hinüber zum Musical-Dome vom „König der Löwen“ – und der Fährkapitän hielt an, um ihn rüberzubringen. Solche kleinen Gesten gab es oft, Geschenke, die für ihn eintrafen, Briefe und Mails. Aber auch Anfeindungen und Hass, der selbst dann nicht aufhörte, als er schwer erkrankte.

Ausgerechnet auf einer Kreuzfahrt rund um Großbritannien, ausgerechnet auf See, wo er sich mit seiner Frau Gerlinde ausruhen wollte, kehrte ein organisches Leiden zurück. Eine schwere Operation folgte, unter deren Folgen Kapitän Schwandt bis heute leidet. Er hat Schmerzen, er schläft schlecht, und es steht zu befürchten, dass der Eingriff wiederholt werden muss. „Das Alter ist ein Arschloch“, schrieb Schwandt in seiner Letzten MOPO-Kolumne. Er hat sich komplett aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, weil er seine Kraft nun für sich braucht.

Wenn ich an unser schönes Jahr denke, an die Auftritte, das Scheinwerferlicht, die Bestsellerlisten, dann denke ich am liebsten an den Abend auf der Leuchtturm-Insel. Der Kapitän, ganz hinten am Heck, mit einer Zigarette, der die Wellen in der Mitsommersonne beobachtet. Was für ein friedliches Bild.

 

Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag.

 

Gerade erschien Klare Kante, das Buch mit den besten Kolumnen von Kapitän Schwandt. Überall im Handel und hier bestellen.

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