Bis heute ist der Untergang des Hapag-Dampfers „Cimbria“ die größte zivile Schiffskatastrophe in deutschen Gewässern. Die Kollision vor der Insel Borkum sorgt weltweit für Schlagzeilen. Wir erinnern in Ankerherz History an den 19. Januar 1883, als 430 Menschen in der Nordsee ihr Leben verlieren.
Nebel liegt über dem Hamburger Hafen, als die Crew der „Cimbria“ die Leinen loswirft. Zielhafen ist New York City. Das Kommando ihrer 70ten Reise führt Kapitän Julius Hansen. An Bord befinden sich 401 Passagiere – die meisten sind Auswanderer – und 91 Crewmitglieder.
Unter den Reisenden sind einige Berühmtheiten. „Red Jacket“ etwa, ein 26-jähriger Sioux-Indianer, ist mit Stammesbrüdern nach einer Europa-Tournee an Bord. Drei Musiker, die „Schwäbischen Singvögel“, träumen von einer Karriere im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Moritz Strauß (53), einer der großen Spielzeughersteller seiner Zeit, will in den USA expandieren.
Sie alle sollen ihr Ziel nie erreichen.
Auch als die „Cimbria“ Cuxhaven passiert, erschwert Nebel die Sicht. Der Dunst wird immer dichter. Kapitän Hansen gibt Befehl, die Fahrt zu verlangsamen. Etwa zwei Stunden nach Mitternacht meldet der Ausguck ein schwaches grünes Licht: ein Positionslicht des Kohlendampfers „Sultan“ aus dem englischen Hull. Ein Nebelhorn ist zu hören. Alarm!
Der Bug des Kohledampfers trifft die Cimbria
Nun kommt es auf jede Sekunde an. Beiden Kapitänen bleibt kaum Zeit zum Reagieren. Sie haben keine Funkgeräte, um miteinander zu kommunizieren – und entscheiden sich nach dem Schreckmoment genau für das Falsche. Dies wird das Seeamt später feststellen. Die Schiffe drehen nun aufeinander zu.
Augenblicke später trifft der scharfe Bug der „Sultan“ die über hundert Meter lange „Cimbria“ im rechten Winkel. Sie reißt ein tiefes Loch in die Backbordseite, unterhalb der Wasserlinie. Gewaltige Mengen Wasser dringen in das Schiff ein. Als die „Sultan“ mit voller Kraft den Rückwärtsgang einlegt, springen die Außenplatten der „Cimbria“ ab.
Die „Sultan“ verschwindet in der Dunkelheit, ohne sich um das Schicksal der Menschen auf der „Cimbria“ zu kümmern. Er habe sein schwer beschädigtes Schiff für weitaus gefährdeter gehalten als den großen Dampfer, entschuldigt sich der Kapitän hinterher. Zwei Tage später wird er mit der „Sultan“ in Hamburg einlaufen.
430 Menschen verlieren das Leben
Die „Cimbria“ legt sich sofort auf die Seite und sinkt schnell. Unter den Passagieren bricht Panik aus. Die Crew reagiert erstaunlich besonnen. Es gelingt, drei Rettungsboote zu Wasser zu lassen. Keine 15 Minuten nach der Kollision geht die „Cimbria“ in der kalten Nordsee unter.
56 Menschen steigen in die Rettungsboote. Sie werden vom Bremer Schiff Diamant und der englischen Bark Theta geboten. Der Besatzung des dritten Bootes gelingt es, nach Borkum zu rudern. Alle anderen Menschen – mehr als 430 Passagiere und Besatzungsmitglieder – verlieren in dieser Nacht das Leben. Bis zum Untergang der Titanic gilt diese Tragödie als größtes ziviles Unglück der Seefahrt.
1974 wird das Wrack der „Cimbria“ 19 Seemeilen nordwestlich von Borkum gefunden. Das Vermessungsschiff „Wega“ beginnt noch im selben Jahr mit der Untersuchung des Wracks. Taucher holen unter anderem Schiffsglocke vom Meeresgrund. Sie steht heute in der Eingangshalle des Ballinhauses in Hamburg.
Zum Andenken an Alle, die beim Unglück der „Cimbria“ auf See blieben