Die erste Kältetote heißt Joanna
Am Wochenende hat eine Frau den Überlebenskampf auf den Straßen von Hamburg verloren. Sie war Verkäuferin für das Obdachlosenmagazin Hinz & Kunzt. Schlief in einem Park in Niendorf. Die Straße hat sie krank gemacht. Die Schmerzmittel und der Alkohol haben sie schwach gemacht. Sie ist vermutlich die erste Kältetote, noch lange, bevor man Winter sagen will. Eine Frau fand sie regungslos und hat noch versucht, ihr Leben zu retten. Doch jede Hilfe kam zu spät. Sie wurde nur 43 Jahre alt.
Ihr Name ist Joanna.
Es ist wieder diese Zeit im Jahr, in der die Suche nach Wärme lebensnotwendig wird. Wie automatisch wandern meine Hände in die Jackentasche. Völlig unbewusst. Man sieht es überall. Die Hände verschwinden in den Hosen und Jacken. Die Pullover werden über die Hände gekrempelt. Kragen hochgeklappt. Kapuzen sind aufgesetzt. Einige verschränken die Arme, um die Hände dazwischen zu wärmen. Manche tragen Handschuhe. Es ist kalt. Man läuft schneller, nur wieder rein ins Warme.
Die erste Kältetote in Hamburg
An die Kälte gewöhnt man sich nicht. Das gilt auch für Menschen auf der Straße. Ich war bei minus 16 Grad draußen. Kälte lähmt. Sowohl im Denken als auch in der Bewegung. Alles ist wie eingefroren.
Man muss raus aus der Kälte. Man flieht zum nächstwärmeren Platz. Das kann eine Bushaltestelle sein. Bietet Schutz gegen Regen und Wind. Würde ich in miesen Nächten schon einen Rettungsort nennen. Bahnhöfe sind die wichtigste Haltestelle.
Die Suche kann lebensgefährlich sein. Jemand legt sich unter die warme Lüftung in einem Parkhaus. Man will sich nur kurz aufwärmen und schläft ein. Am nächsten Morgen ist man tot. Überfahren von jemandem, der grade zur Arbeit fährt. Damit rechnet ja keiner.
In Deutschland sollte niemand obdachlos sein
Plätze, die Obdachlose Schutz bieten, sind rar. Sie werden zerstört oder unzugänglich gemacht. Abgesperrt oder umgebaut. Dabei werden immer mehr Menschen obdachlos. Die Zahl hat sich in Hamburg seit 2009 verdoppelt. Immer mehr Menschen die Platte machen, sprich einen Schlafplatz auf der Straße suchen. Immer weniger Platz. Das Resultat: Gewalt. Menschen schlagen sich für einen warmen Ort zum Übernachten.
Am Donnerstag startete das Winternotprogramm für Obdachlose. Das war zu spät. In diesem Jahr sind es 760 Übernachtungsplätzen, etwa 100 Plätze weniger als im letzten Jahr. In diesem Land sollte niemand Obdachlos sein. Jeder Mensch sollte ein Dach über dem Kopf haben.
Ich sitze in einem vollen wuseligen Café während ich den Text schreibe. Ein Mann kommt rein. Er geht mit dem Becher eine Runde. Keiner sieht ihn. Ich gebe ihm etwas in die Hand. Wir gucken uns an und wünschen uns einen schönen Abend.
Ich hoffe, dass sich hier irgendwann etwas ändert.
Dominik Bloh, Jahrgang 1988, lebte elf Jahre lang immer wieder auf den Straßen von Hamburg. Sein Buch über sein Leben heißt: „Unter Palmen aus Stahl“, und wurde ein SPIEGEL-Bestseller. Überall im Handel und versandkostenfrei HIER bestellbar.