KAPITÄN SCHWANDT: Hamburg ohne Hamburger

KAPITÄN SCHWANDT: Hamburg ohne Hamburger - Ankerherz Verlag

Heute erscheint in der Hamburger Morgenpost ein großer Beitrag darüber, wie im Stadtteil Sankt Pauli die Mieten steigen. Bis zu 18 Euro werden für den Quadratmeter verlangt – Kaltmiete! Für viele wird Deutschlands buntester Kiez damit unbezahlbar. Wir erinnern an eine Kolumne von Kapitän Schwandt zu diesem Thema, das für alle deutschen Großstädte gilt. „Hamburg ohne Hamburger.“

 

„Gentrifizierung“ ist als Begriff mit dem Buchstaben „G“ ungefähr so beliebt wie Genmais, Genitalpilz oder Gonorrhoe. Was es bedeutet, wenn ein Stadtteil, der einst ein Viertel für Arbeiter und Geringverdiener war, plötzlich als schick gilt, musste nun einer meiner Freunde erfahren. Heinz lebte 31 Jahre lang in einem Altbau in Altona, in der Fischersallee. Architektonisch schöne, wenn auch simpel ausgestattete Häuser aus der Gründerzeit. Die Decke mit Stuck, die Wohnung ohne jeden Luxus, die Mieten günstig. Heinz fühlte sich wohl – und dachte, er könne nahe der Elbe seinen Lebensabend verbringen.

Doch dann wurde das Haus verkauft.

Der neue Eigentümer teilte das Gebäude in neue Einheiten, baute schicke Badezimmer ein und modernisierte fleißig. Wie schön, dachten die Hausbewohner, doch dann kam Post: Die Mieten stiegen heftig. Einige zogen freiwillig aus, andere streiten noch. Im Falle meines Freundes Heinz, den Dinosaurier-Dauermieter aus der dritten Etage, zog der neue Hausbesitzer eine andere Karte. Er klagte auf Eigenbedarf. Heinz nahm sich einen Anwalt, doch Recht bekam er nicht. Er musste ausziehen.

Nun wohnt er auf Sankt Pauli, in einer kleinen Wohnung. Heinz ist 69 und eine Frohnatur, ein Typ, der sich nicht so leicht unterkriegen lässt. In den Wochen nach dem Umzug ging es ihm schlecht – er vermisste seine vertraute Umgebung, die Nachbarn, seine Kumpel, das Café um die Ecke. Einen alten Baum sollte man nicht mehr entwurzeln und irgendwo neu einpflanzen.

Nun gibt es aktuell gewiss größere Probleme in der Welt, doch die Frage, wie wir mit dem immer knapperen Wohnraum in unserer Stadt umgehen, beschäftigt mich. Welcher Hamburger – außer Bankräubern und Immobilienhaien – kann sich Hamburg noch leisten? Dass wir in der beliebtesten Stadt Deutschlands wohnen (hat eine aktuelle Umfrage ergeben): toll. Aber welchen Preis zahlen wir für die Beliebtheit? Und für den Mangel an sozialem Wohnungsbau? Selbst im recht armen Sankt Pauli sind die Mieten auf bis zu 14 Euro den Quadratmeter gestiegen (Anmerkung: Im Januar 2018 sind es 18 Euro!). Von den feinen Vierteln an Alster und Elbe will ich gar nicht anfangen, da bleiben Bankräuber und Immobilienhaie längst unter sich.

Wozu es führt, wenn alleine die Gesetze der Gier den Wohnungsmarkt bestimmen, sieht man auf der Insel Sylt. Sobald das Wetter kalt wird, stehen ganze Dörfer leer. Einige Ortschaften erinnern in den Wintermonaten an finstere Geisterorte, in denen Abends kein Licht mehr brennt. Die echten Insulaner – gibt es kaum noch auf der Insel.

Ist das auch die Zukunft für unsere Stadt? Wohnt die Mehrheit der Hamburger irgendwann draußen? In Pinneberg, Reinbek und Buchholz? Ich mag mir das nicht vorstellen.

 

Jürgen Schwandt, Jahrgang 1936, wuchs in Hamburg-Sankt Georg auf. Die Kolumne ist Teil des Buchs „Klare Kante“ mit seinen besten Kolumnen und Kurzgeschichten. Überall im Buchhandel und versandkostenfrei hier im Online Shop von Ankerherz zu kaufen.

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