Der Großcontainerfrachter Ever Given blockiert noch immer den Suezkanal. Es gibt inzwischen weltweit Probleme in den Lieferketten. Wie kam es zum Unglück? Kapitän Volker Busenbender, ein erfahrener Seemann aus Hamburg, schreibt Ankerherz einen Brief. Kapitän Busenbender ist einer der Seeleute, in in unserer Anthologie Kapitäne aus ihrem abenteuerlichen Leben berichten.
Kapitän Volker Busenbender, Jahrgang 1941, fuhr mehr als halbes Jahrhundert zur See. Davon 44 Jahre in Diensten der Hamburger Traditionsreederei Hapag-Lloyd. Busenbender ist auch extrem erfahren, was den Suezkanal angeht. Er war oft auf der Route nach Fernost unterwegs. Wir danken ihm für diese fachkundigen und spannenden Zeilen! Wirklich spannendes Hintergrundwissen…
Kapitän Busenbender schreibt:
„Die wirkliche Ursache so einer Havarie zu erfahren, das halte ich für den interessantesten Teil. Wie kann man für die Zukunft ähnliche Havarien möglichst ausschließen? Lag es am Wetter? Gab es Fehler der Brückencrew (Kapitän, Lotse, Rudersmann) oder war es die Schiffstechnik?
Die Kanalverwaltung sagt, das Schiff sei in einen starken Sandsturm geraten.
Dies wäre fatal. Dazu ein wenig Hintergrundwissen:
Nach Norden bestimmte Schiffe, die am selben Tag den Kanal passieren wollen, müssen in Suez bis 01.oo Uhr eintreffen. Wer knapp kalkuliert und erst gegen Mitternacht (und damit Dunkelheit) auf die Reede Suez kommt, hat ein mittelgroßes Problem. Nämlich ein „Plätzchen“ zu finden, ganz besonders wenn das Manöver mit einem 400m-Schiff geschehen soll. In der Regel ist die Suez-Reede dann schon gut besetzt. (…)
Im Konvoi durch den Suezkanal
Auf der Reede bekommen die Kanal-Gelegenheitsfahrer einen sogenannten Suez-Scheinwerfer. Ständig Fernost fahrende Schiffe haben natürlich ihren eigenen Scheinwerfer an Bord. Gegen 04.00 Uhr startet der Konvoi gen Norden in den Suezkanal. Die Reihenfolge ist festgelegt, die Großen vorneweg. Der Kanal ist unbeleuchtet, jedes Schiff leuchtet mit seinem Superscheinwerfer (vorne am Steven) die Uferseiten des Kanals aus. Geschwindigkeit im Kanal: ca. 10 Knoten. Offiziell sind 5 kn Minimum.
Zurück zum „starken Sandsturm“, der die Sicht des Kapitäns beeinträchtigt haben soll. In der Tat kann die Sicht nahe Null sein. Besonders verursacht durch Reflexion der Sandkörner im Scheinwerferlicht. Man kann das vergleichen mit einer Nachtfahrt im Auto bei starkem Schneetreiben.
Im Sandsturm extrem schwierig
Fakt ist: man sieht so gut wie nichts. Zwar gibt es noch das Radar, allerdings muss das Fahren nach Radar in einem „Graben“ mit einem 400m-Schiff sehr lange geübt sein, z.B. in einem Simulator. Der Sandsturm, verbunden mit starken östlichen Winden, zwang die Ever Given einen gewissen „Vorhaltewinkel“ zu fahren. Die Gefahr einer Drift ist dabei imminent. Die Ever Given hat zurzeit eine Decksladung von neun bis zehn Containern gestapelt über die gesamte Schiffslänge, bedeutet 26 Meter hoch. Was eine Windangrifffläche von von ca. 15.000 m2 ergibt.
Das entspricht der siebenfachen Segelfläche einer Gorch Fock!
Man kann sich vorstellen, was passiert, spätestens wenn das Schiff wegen schlechter Sicht die Fahrt reduziert: Das Schiff driftet wie ein Pipott auf einem Ententeich. Und dies ohne Ruderversager oder Elektronikausfall. Die Kurskorrektur nach Steuerbord ist offensichtlich zu heftig ausgefallen, wie wir jetzt wissen. Die Ever Given landete in der rechten Böschung. Der starke Ostwind hat das Heck folglich an die linke Kanalseite geweht.
Fazit: Schiffe sollten nicht bei hefigen Sandstürmen in den Kanal einlaufen.
Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, dass es eine Vorschrift ähnlich der auf der Elbe gibt. Diese besagt, dass ein Großcontainer nicht auslaufen darf, wenn der Wind stärker als Beaufort sechs weht.“
In unserem Buch KAPITÄNE berichten erfahrene Seeleute aus ihrem Leben. Wer wissen will, was hinter dem Horizont los ist, der braucht dieses Buch. Gibt es hier bei uns im Ankerherz Buchladen.
Hinweis zur Fotogalerie dieses Beitrags: Fotos von Ankerherz und der Suez Canal Authority.