Seemannsdiakon Sturm: Jesus würde sich schämen

Seemannsdiakon Sturm: Jesus würde sich schämen - Ankerherz Verlag

Jesus würde sich schämen. Jede Woche schreibt Fiete Sturm, Seemannsdiakon von Hamburg-Altona, eine Kolumne im Ankerherz Blog. Wegen der furchtbaren Ereignisse in dieser Woche erscheint die Kolumne ausnahmsweise nicht am Donnerstag, dem Sonntag der Seeleute, sondern dem echten Sonntag. Es geht um den Beitrag eines Kollegen in Nürnberg, der Fiete Sturm aufregt. Hier seine Erwiderung.

Letztes Jahr, auf dem evangelischen, Kirchentag wurde der Grundstein für das kirchliche Bündnis „united4rescue“ gelegt. In fast rekordverdächtiger Zeit wurden Bündnispartner gewonnen (so z.B. die Deutsche Seemannsmission e.V.) und Spenden gesammelt. Im Frühjahr konnte dann das ehemalige Forschungsschiff „Poseidon“ ersteigert und zum Betrieb an Sea-Watch übergeben werden. Ich selbst war mit ein paar unser Freiwilligen Mitarbeiter bei der Taufe vor Ort.

Nun hat letzte Woche der Nürnberger Pfarrer Matthias Dreher einen Beitrag im kirchlichen „Korrespondenzblatt“ veröffentlicht, in dem er anführt, dass es für Christen durchaus denkbar sein kann, Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken zu lassen.

Ein offener Brief an einen Pfarrer

Zwar nicht akut vor dem eigenen Auge. In diesem Fall würde auch Dreher selbst retten. Aber er schreibt, dass er es nicht als Aufgabe der Kirche betrachtet, aktiv Rettung für Menschen zu betreiben, die sich wissend auf die gefährliche Überfahrt begeben. Seine Argumente sind unter anderem, dass viele der Flüchtlinge (er spricht von Migranten) eher dem Mittelstand zuzuordnen sind, genau wissen was sie tun. Und er impliziert, dass sie sich und ihre Familien berechnend und vorsätzlich in Gefahr begeben. Er ruft den „Migrationswilligen“ zu, sie sollen doch legale Asylverfahren anstreben, statt über das Mittelmeer zu kommen.

Letztendlich führt Dreher aus, dass wir den Bau des Reiches Gottes, Gott selbst überlassen sollen statt „unverantwortlich“ Menschen aufs Wasser zu ziehen.

Ich habe den Text nun mehrfach gelesen und muss gestehen, dass sich dabei in mir sehr verschiedene Gefühle breit gemacht haben. Von einem nüchternen „verstehen wollen“ der Argumente Drehers bishin zu Unglauben und zu Wut darüber, solch zynische und kalte Worte aus der Feder eines Mitchristen lesen zu müssen. Ich antworte darauf an dieser Stelle mit einem Offenen Brief.

Sehr geehrter Pfarrer Dreher,

würde Jesus Christus ihre Worte lesen, er würde sich dafür schämen, Sie zu seinem „Bodenpersonal“ zählen zu müssen.

Sie schreiben recht nüchtern und kühl, warum es Ihrer Meinung nach für Christen möglich sein soll, Menschen ertrinken zu lassen. Dabei nehmen Sie sich leider nicht die Zeit, ihre Argumente selbst zu überprüfen. Allein die Mär vom sogenannten „Pull-Effekt“ ist schon lange widerlegt. Menschen flohen über das Mittelmeer, bevor es organisierte Seenotrettung gab und sie tun es immer noch. Auch jetzt, wo staatliche und private Rettung so gut wie nicht mehr existiert und aktiv behindert wird.

Ihre Argumentation, dass hier Menschen ohne echte Not aus einem relativen Wohlstand heraus ihre Heimat verlassen, ist bestenfall zynisch. Sie delegetimieren hier aus einer sehr priviligierten Situation heraus die Ängste und Nöte von Menschen, die unter unterschiedlichsten Problemen leiden. Sie maßen sich an zu definieren, was echter und was unechter Leidensdruck ist.

Glauben Sie denn allen Ernstes, dass man wegen ein paar Euros und ein paar unbequemen Lebensumständen seine Heimat verlässt und sich auf eine gefährliche Reise begibt? Können Sie sich nicht vorstellen, dass diese Menschen einfach keine Perspektive mehr in ihrer Heimat sehen? Das Sie selbst (genau wie ich und die meisten anderen Bewohner Europas) einen Anteil an den prekären Lebensumständen dieser Menschen haben? Es mag einfach und bequem sein, sich hier mit ein paar unterkühlten Worten aus der Verantwortung zu predigen. Aber christlich? Christlich ist dies sicher nicht!

Also Pfarrer sollte Ihnen doch das Wirken eines Jesus von Nazareth geläufig sein. Hat er sich von Menschen abgewendet, deren Motive er nicht guthieß? Hat er vermeintliche Sünder ihrem Schicksal überlassen? Nein. Er hat Ihnen Hilfe angedeihen lassen. Er hat versucht, Menschen mit Menschlichkeit zu überzeugen. Nicht mit Ablehnung und Augenschließen.

Was glauben Sie, Pastor Dreher, würde Jesus Ihnen antworten, wenn sie Ihm ins Gesicht sagen würden, dass es für Sie vertretbar halten, Menschen Ihrem tödlichen Schicksal zu überlassen? Obwohl Sie etwas daran ändern könnten.

Michael Buschheuer, Grundsteinleger von „Sea-Eye“ sagte sinngemäß in einer Podiumsdiskussion: „Ich stelle mir vor, dass ich einen Autounfall beobachte. Die Frage ist einfach – kann ich helfen oder nicht? Wenn ich etwas tun kann, dann muss die Antwort „ja“ lauten und ich muss tätig werden.“ Das ist pragmatisch, dass ist ehrlich. Und unbequem. Genauso unbequem wie diese Aussage von Jesus: „Verkaufe alles was du hast, gib es den Armen und folge mir nach.“

Jesus fragt nicht, ob die Armen es verdient haben, etwas geschenkt zu bekommen. Er fragt nicht, ob sie ihre Armut selbst verschuldet haben. Er gibt eine einfach Anweisung, wie man seinem Weg folgen kann. Und Sie wissen sicher auch, wie diese Stelle in Markus 10:22 weitergeht: „Er [der zu dem Jesus spricht] aber ward unmutig über die Rede und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter.“

Das sind Sie, Pfarrer Dreher, in meinen Augen. Ich sehe, wie sie politisch, moralisierend und ökonomisch argumentieren, warum es nicht die Aufgabe der Kirche ist Flüchtlinge im Mittelmeer zu retten. Würden Sie sich auf Christus beziehen, da bin ich mir sicher, müssten sie zwangsläufig zu einem anderen Fazit kommen.

Sarkasmus für die Neue Rechte?

Dann noch den Flüchtenden zuzurufen, sie mögen doch legale Asylverfahren anstreben, ist schließlich nur noch bitterböser Sarkasmus. Schotten wir uns in Europa doch systematisch und hermetisch ab, um genau das zu verhindern!

Ich könnte jetzt noch weiter ausholen und argumentieren, dass mit organisierter Seenotrettung nicht nur den Flüchtlingen geholfen wird, sondern auch den vielen Seeleuten in der kommerziellen Schifffahrt. Die fast täglich in Situationen kommen, die sie nur schwer verkraften können. Die mitunter traumatisiert sind, ob der Menschen die sie vor ihren Augenen ertrinken sehen ohne ihnen helfen zu können. Oder die wochenlange Irrfahrten hinter sich haben, weil ihnen niemand die vielen Menschen abnimmt, die sie (sowohl rechtlich als auch menschlich) retten mussten. Aber das würde noch mehr Mitdenken über den eigenen, ideologischen Tellerrand hinaus bedeuten.

Im Fazit finde ich es bedauernswert, dass Sie hier mehr die gefährlichen, weil halbwahren und verdrehten Argumente der Neuen Rechten bedienen, als nach dem Vorbild unseres Herren Jesus Christus zu handeln. Ich wünsche Ihnen, dass sie Ihren Horizont und vor allem Ihr Herz noch einmal etwas öffnen können.

Aus dem Hamburger Hafen,

Fiete Sturm
Seemannsdiakon

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