Seemannsdiakon Sturm: Seeleute und der Glaube

Seemannsdiakon Sturm: Seeleute und der Glaube - Ankerherz Verlag

Seeleute und der Glaube. Im Ankerherz Blog schreibt Fiete Sturm, der Seemannsdiakon von Hamburg-Altona, einer neuen Folge über ein wichtiges Thema auf See. Der Glaube der Seeleute.

Moin!

Für viele Seeleute spielt Religion und der Glaube nach wie vor eine wichtige Rolle. Seefahrt ist, auch heute noch, ein gefährliches und anstrengendes Arbeitsfeld. Stürme, Unfälle, Piratenangriffe, lange Trennung von der Familie und nicht selten um die 70 Wochenstunden hinterlassen ihre Spuren. Das man unter diesen Bedingungen seinen Halt im Glauben sucht, mag da nicht verwundern.

Und auch, wenn dies manchmal anders erscheinen mag, ist Glaube immer etwas sehr Persönliches. Etwas, dass sich über die Zeit entwickelt und ständig an den eigenen Lebensumständen reflektiert wird. Er ist nicht immer nur fester und beständiger Ort der Zuflucht. Zweifel und Unsicherheit gehört ebenso zum Glaubensweg. Immer wieder werde ich, als Diakon, von „meinen“ Seeleuten darauf angesprochen, wie ich es mir gelingt sicher zu sein, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Dann erzähle ich ihnen gerne von einem Tag in meinem Leben, der mir noch immer gut in Erinnerung ist:

Frankreich, 2007. Ich lebe seit über einem halben Jahr als ehrenamtlicher Helfer in der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé im Burgund. Es ist ein wunderschöner Morgen im Frühsommer. Ich wache vom Geläut der Glocken auf und bin sofort hellwach! Die Glocken! Das heißt, der Frühgottesdienst beginnt bereits und ich bin noch im Bett. Ich schlüpfe also schnell in meine Klamotten, klatsche mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht und verlasse eilig das mittelalterliche Sandsteinhaus, in dem sich mein gemütliches Zimmer befindet.

Glaube. Wie erklärt man das?

Zügig mache ich mich auf den Weg zur Kirche, eile durch die Seitentür und warte hinter einer Ecke, bis das Abendmahl ausgeteilt wird. Der perfekte Moment, wenn alle aufstehen, ungesehen zu meinem Platz zu kommen. Ich habe keine Lust mir wieder eine kleine „Predigt“ von einem der Brüder anzuhören, warum es wichtig ist, regelmäßig und pünktlich zu den Gottesdiensten zu erscheinen.

So sitze ich dann den Rest des Frühgebetes auf dem leicht abschüssigen Teppichboden und versuche die Müdigkeit abzuschütteln. Es ist eine volle Woche und fast 3000 Gäste, ehrenamtliche „Permanents“ und Brüder erfüllen die Kirche mit den vierstimmigen, sich immer wiederholenden Gesängen.

Dann beginnt der normale Tagesablauf. Wir Permanents frühstücken in unserem Gemeinschaftsraum mit einem der Brüder. Meine Aufgabe diese Woche ist es, mich als Verantwortlicher um die Logistik und Reinigung der kleineren von zwei Großküchen zu kümmern. Dazu bekomme ich ein Team von gut 20 jungen Gästen zugeteilt, die eine Woche auf dem Hügel von Taizé verbringen um am Leben, Beten und Arbeiten der Brüder teilzuhaben. Sie helfen mir bei den täglichen Aufgaben und nach getaner Arbeit sitzen wir noch ein wenig draußen in der Sonne auf einer kleinen Steinmauer, trinken Tee und essen Kekse.

Erfahrungen in Taizé

Jeder erzählt ein wenig von sich und berichtet wo sie oder er herkommt und wie das Leben dort so ist. Diese Woche habe ich eine bunt gemischte Gruppe mit Menschen aus Palästina und Israel, Vietnam und Frankreich und sogar aus Japan und China. Das ist spannend zu beobachten und selbst hier nicht alltäglich. Liegt diesen Kombinationen doch jeweils eine gewisse Spannung zugrunde. Aber alle sind entspannt und es entwickeln sich neugierige Gespräche. Ich merke, wie die Atmosphäre von einem aufrichtigen Interesse füreinander geprägt ist.

Bald darauf läuten auch schon wieder die Glocken zum Mittagsgebet. Wir begeben uns in die Kirche, jeder sucht sich einen Platz und in Stille geht jeder seinen Gedanken nach, bis die Gesänge starten. So sitze ich dort und ich schaue mich um, während ein schöner, vierstimmiger Kanon wie in Wellen über mich hinweg schwappt.

In meinem bisherigen Studium zum evangelischen Diakon, dass ich für das Jahr in Taizé unterbrochen hatte, habe ich meinen persönlichen Glauben immer sehr wissenschaftlich und nüchtern betrachtet. Ich habe Jesus Christus als historische Person kennengelernt und vieles von seinen Lehren anhand der damaligen, antiken Gesellschaft zu reflektieren gelernt. Aber nichtsdestotrotz habe ich immer noch Probleme damit, mir selbst zu erklären, wer oder was eigentlich Gott ist.

Was ist eigentlich Gott?

Ist es der allmächtige Vater mit dem langen weißen Bart oben im Himmel? Ist es ein nicht greifbarer Geist, der Dinge tut, die ich nicht verstehe? Oder einfach nur ein abstrakter Liebesbegriff? Ein philosophisches Konstrukt? Dies ist etwas, was mir meine Dozenten und Bücher bis dahin nicht erklären konnten. Doch jetzt, wo ich hier so sitze, meine Helfer beim Singen und Beten beobachte, die Noten des Liedes körperlich über mich hinwegbranden spüre, da wird plötzlich etwas für mich greifbar:

Nein, ich kann Gott immer noch nicht sehen und ich habe auch keine unvermittelte Offenbarung, die mir alles erklärt. Aber trotzdem kann ich erkennen, wie hier etwas am Werk ist. Wie diese, so unterschiedlichen Menschen, so einträchtig beieinander sind. Wie wir miteinander verbunden sind. Das macht für mich sichtbar, wie Gott durch seinen Geist mit und durch die Menschen wirkt. Jeder mit seinen Stärken und Schwächen. Seinen Unsicherheiten, Ängsten und Fehlern aber auch all seinen Gaben und Besonderheiten. Das ist eine Erkenntnis, die ich nicht lehren oder ohne weiteres erklären kann. Und doch ist es real und mittlerweile Teil meines Glaubensverständnisses.

Zweifel gehören dazu

Und das ist auch, was ich dann meinen Seeleuten durch dieses Erlebnis zu erzählen versuche. Dass Zweifel und Sorgen (meiner Erfahrung nach) zum Glaubensweg genauso dazu gehören wie Liebe und Zuversicht. Es ist nicht schlimm, dass wir ab und an verzagen und Zeiten der Anfechtung erleben. In alledem sind wir nämlich nicht allein. Denn Gott ist, in den Menschen, die uns umgeben, stützen und auffangen, bei uns. Auch, wenn wir ihn dabei nicht immer wahrnehmen.

Aus dem Hamburger Hafen,
euer Fiete Sturm

P.S. In der Seemannsmission kümmern wir uns natürlich um ALLE Seeleute. Egal welcher Religionen, Kultur oder sonstiger Gruppe sie angehören.

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