Seemannsdiakon Sturm: von der Kraft der Phantasie

Seemannsdiakon Sturm: von der Kraft der Phantasie - Ankerherz Verlag

Von der Kraft der Phantasie. Jede Woche schreibt Fiete Sturm, der Seemannsdiakon von Hamburg-Altona, eine Kolumne für den Ankerherz Blog.

Moin!

Vor ein paar Tagen gehe ich mit Seemannshund Bami eine späte Runde um den Block. Es hat geschneit und das unberührte Weiß taucht die sonst eher schmutzige Straße in ein reines Licht. Die Luft ist kalt. Und obwohl das Atmen deswegen ein wenig in der Lunge brennt, fühlt es sich auch irgendwie gut an. Sauberer als sonst. Auf den Oberflächen von Mülleimern, Stromkästen und geparkten Autos glitzern die Schneekristalle im künstlichen Licht der Straßenlaternen. Ich genieße die Stille und schaue meinem Hund zu.

Für Bami ist das ihr erster, richtiger Winter. Sie rennt wild und ausgelassen, springt und dreht sich. Als wäre sie ein Schiff auf dem Meer, stieben die Flocken unter ihrem Toben wie weiße Gischt zur Seite. Ich frage mich instinktiv, wie sich das wohl für sie anfühlt. Das erste Mal im Leben so richtigen Schnee zu erleben.

Die Kraft der Phantasie

Meine Gedanken gehen weiter zurück. Ich erinnere mich an eine Schiffsbesatzung aus Nordafrika, wie die Seeleute vor ein paar Jahren im Winter staunend an Deck ihres Schiffes stehen und sich über ein paar einzelne, traurige Flocken freuen, die vom Himmel fallen. Ihr erster Schnee. Und auch wenn es für mich alles andere als spektakulär ist, bereitet es den Seeleuten doch eine absolut aufrichtige Freude.

Ich lächle innerlich und meine gedankliche Reise geht weiter. Fast 15 Jahre zuvor bin ich mit den freiwilligen Helfern und Brüdern der Gemeinschaft von Taizé in zwei Reisebussen unterwegs. Wir fahren Heiligabend nachts vom französischen Burgund über die Alpen nach Zagreb in Kroatien um dort zwischen Weihnachten und Neujahr mit über 40.000 Teilnehmer den „Pilgerweg des Vertrauens auf der Erde“ zu veranstalten. Auf dem Weg dorthin machen wir auf einem verschneiten Pass mitten in den Alpen eine Rast.

Kaum öffnen sich die Türen, da springen auch schon die ersten Freiwilligen aus Süd-Indien aus dem Bus. Sie tollen lachend durch das weiße Pulver, bewerfen sich damit und sind ausgelassen wie kleine Kinder. Später erzählen sie mit leuchtenden Augen, dass sie seit ihrer Ankunft in Europa im Sommer gehofft hatten, einmal Schnee sehen zu können.

Erinnerung an Bremerhaven

Meine Gedanken kehren wieder zurück und ich merke, wie ich jetzt nicht nur innerlich sondern auch äußerlich lächle. Es sind herzerwärmende Erinnerungen. Erinnerungen vom Staunen über etwas Schönes, Unbekanntes und Neues. Sie haben etwas kindlich unschuldiges und ich frage mich, wann ich zuletzt selbst soetwas empfunden habe.

Mit kommen schnell Schiffe in den Häfen in den Sinn. Zum Beispiel ein Schiffsausflug in meiner Kindheit, mit meinem Vater. Wir machen eine Tour vom Fischerort Fedderwardersiel nach Bremerhaven. Als neunjähriger Junge ist es für mich doppelt beeindruckend in einem kleinen Ausflugsboot an den Containergiganten vorbei zu fahren. Mich zu fragen, wie es so riesige Metallklötze fertig bringen, nicht einfach unterzugehen.

Ich erinnere mich, wie ich mit großen Augen durch das Schiffahrtsmuseum wandere. Mir mit ein bisschen Gruseln überlege wie es ist, tage- und wochenlang in dem U-Boot eingesperrt zu sein, das wir besichtigen. Wie ich im Bremer Überseemuseeum von fremden Kulturen erfahre und mich frage, wie Menschen auf anderen Orten dieser Welt leben. Oder wie wir an den Landungsbrücken ein Eis essen und uns Geschichten ausdenken, welche Abenteuer die Schiffe und ihre Besatzungen vielleicht an fremden Gestaden erleben werden, die wir gerade auslaufen sehen. Und ich fange jetzt gar nicht erst von Büchern an. Allein über meine Zeit mit der „Unendlichen Geschichte“ von Michael Ende könnte ich ganze Seiten füllen.

Mal die Phantasie übernehmen lassen

Langsam kehren meine Gedanken dann aber wieder zum Hier und Jetzt zurück. Mir wird kalt und seelig grinsend beende die Runde mit Bami. Bevor ich einschlafe, nehme ich mir fest vor es zuzulassen, mich wieder ein wenig mehr wundern zu dürfen.

Sicher ist es wichtig informiert zu sein und Zusammenhänge zu verstehen. Im Zeitalter der Fake-News mehr denn je. Aber ich kann, will und werde mir darüber nicht die Freude nehmen lassen meinen Verstand mal ein wenig ruhen und die Phantasie ans Steuer zu lassen.

Wie geht es euch? Was sind eure Momente in denen ihr noch unschuldig staunen und euch wundern könnt? Lasst es mich gerne wissen! Schreibt es mit auf der Facebook-Seite von Ankerherz!

Aus dem Hamburger Hafen,
euer Fiete Sturm

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