Kühlungsborn und Trüffelpommes. In der neuen Kolumne von Stefan Kruecken geht es um eine Beobachtung Deutschland im Frühjahr 2024. Ein Land, in dem Nörgelei für manche zum Lebensstil geworden ist.
Vor Kurzem wurde ich eingeladen, in einem Hotel in Kühlungsborn aus meinen Büchern vom Meer zu lesen. Ich mag das Seebad im Westen von Rostock nicht nur wegen seines weiten Strandes und des schönen Wappens, drei weiße Möwen in einem blauen Himmel.
Kühlungsborn ist ein Ort mit Brüchen und ein Ort der Geschichte, in dem einst eine Kampfschwimmer-Einheit der NVA-Volksmarine und die 6. Grenzbrigade Küste stationiert waren. Ein Grenzturm ist aus DDR-Zeiten Zeiten noch erhalten, und Gedenktafeln erinnern an die Schicksale von Menschen, die von hier aus alles riskierten, um aus dem großen Gefängnis zu entkommen. (Mehr zum Thema HIER).
Von Kühlungsborn raus aus dem großen Knast
Auf Schlauchbooten, einem selbstgebastelten U-Boot. Schwimmend. Wenige schafften die Flucht über das Meer, wie ein junges Paar, das in einem aufblasbaren Kinderboot hinaus paddelte und wie durch ein Wunder vom mutigen Kapitän des Hamburger Holzfrachters „Palmyra“ gerettet wurde. Andere ertranken in der kalten Ostsee, zum Beispiel Georg Sender und zwei Töchter in einem Faltboot, das war im März 1977. „Jede Verhinderung ist für die Grenzsicherungskräfte ein Erfolg“, steht auf der Tafel.
Ich saß auf einer Bank, sah den Wellen zu und dachte darüber nach, wie kurz es her ist, dass hier nicht Kinder zwischen Strandkörben spielten, sondern schwer bewaffnete Einheiten patrouillierten. Es war einer der ersten warmen Tage. Kurzurlauber spazierten über die Promenade, die Möwen kreischten. Wenn ich den Kopf nach links drehte, sah ich ein Riesenrad, das größte transportable in Europa. Einst schauten Menschen vom Wachturm, heute sehen sie vom Riesenrad aus Meer.
Zwei ältere Damen. Trüffelpommes
Auf der Bank neben mir nahmen zwei ältere Damen Platz. Sie hatten sich kaschmierige Pullover leger um den Hals geknotet, trugen Brillen, die einerseits vor der Sonne schützen und nebenbei den Namen der Luxusmarke effektiv zeigen und pickten Trüffelpommes, die sie aus einem nahen Imbiss geholt hatten. Dazu nippten sie perlenden Wein aus schmalen Gläsern.
Zunächst unterhielten sie sich über die Qualität der frittierten Kartoffeln und wie sich doch die Küche gebessert habe, auch und selbst in Kühlungsborn, doch dann wechselte das Gespräch hin zu anderen Themen.
„Idioten in der Politik“. „Unmöglich vor allem: diese Baerbock, furchtbar also wirklich, wir bezahlen auch noch den Frisör“. „Geht alles in Deutschland vor die Hunde“.
Der Wind trug die Fetzen nicht fort und die Möwen kreischten leider nicht laut genug. Ich musste gehen.
Dieses Bild der Damen, unterhalb des Grenzturms der NVA, die in ihren Trüffelpommes pickten, am Perlwein nippten und sich einig darüber waren, wie bescheiden „alles“ ist, es begleitet mich seither. Ich finde, es passt ziemlich gut zur Stimmung im Land.
Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag. Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland. Gerade erschien sein neues Buch: „Muss das Boot abkönnen“.