Stefans Geschichten: Das kleine Wunder von Irland


An einem Mittwoch im November fuhr der Hobby-Fotograf Chris Ellerly im Hafen von Fishguard, Wales, mit einem Schlauchboot los. Er wollte Seevögel und den Sonnenuntergang knipsen. Zwei Tage später trieb er mit seinem schwarzen Schlauchboot 60 Seemeilen weiter westlich an. In Irland. Erschöpft, aber unversehrt – und nach einer unfreiwilligen Tour quer über die Irische See. Eine Story, die sogar der irische Ministerpräsident Simon Harris eine „bemerkenswerte Überlebensgeschichte“ nennt.
Stefans Geschichten: Das kleine Wunder von Irland - Ankerherz Verlag

 Der 54 Jahre alte Vater aus Bristol war nicht lange unterwegs, als der Motor ausfiel. Ablandiger Wind trieb ihn von der Küste weg. Es wurde dunkel und das Mobiltelefon funktioniert nicht. Seine besorgte Familie informierte die Behörden – und eine große Suche startete. Fünf Boote der Seenotretter und drei Crews der Coast Guard durchkämmten die See; mehrere Flugzeuge waren in der Luft.

Ohne Motor auf der Irischen See

An Land startete seine Tochter Kenzie eine Kampagne in den Sozialen Netzwerken, vor allem im Facebook. Mit jeder Stunde, die ihr Vater als vermisst galt, sank die Hoffnung – zumal die Retter seine Habseligkeiten in einer Bucht fanden, die nur per Boot erreichbar ist. Ein AirTag-Tracker, den er bei sich trug, zeigte an, dass er sich draußen auf See befand.

Aber wo?

Die Irische See wird in Seefahrerkreisen gefürchtet, doch Ellerly hatte Glück: kein rasch aufziehender Sturm, keine steilen Wellen. Der Wind schob ihn Richtung Osten. Ellerly gab nicht auf und fummelte am Motor herum, den er schließlich in Gang bekam. Da war doch eine Küstenlinie am Horizont?

Rettung in Irland

Am Kilmichael Point, einem verlassenen Teil der irischen Ostküste, stolperte er an Land. Er entdeckte eine Straße und stieß auf Shay. Der junge Mann willigte ein, ihn zur nächstgelegenen Polizeistation in Baltinglass zu fahren, 15 Meilen, also knapp 25 Kilometer entfernt.

Die Beamten beschrieben Ellery als „müde, aber sonst in Ordnung“ und informierten seine Familie und die Kollegen der Wache in Dyfed-Powys, Wales. Ein Polizist fand eine Pension für den Gestrandeten und dann ging es – wie es sich für eine gute irische Geschichte gehört – erstmal in den Pub.

Währenddessen machten sich Ellerys Frau und sein Vater mit einem Reisepass auf den Weg nach Irland. Sonst hätte er nach den neuen Brexit-Regeln nicht zurück nach Hause gekonnt.

Der Gerettete zeigt sich indessen dankbar. Für Shay, den jungen Arbeitslosen, der ihn zur Polizeiwache fuhr, sucht er eine Freundin. Und für die Seenotretter der RNLI sammelt er Spenden. Seine Familie lobt die positive Energie und Solidarität in den Sozialen Medien, die ihnen durch verzweifelte Stunden geholfen habe.

Happy End, Abspann.

Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag. Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland. Lest sein Buch: „Muss das Boot abkönnen“.

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