Für die armen Inselbewohner, die wegen der schlechten Böden kaum Ackerbau betreiben konnten, vielleicht ein paar Enten und Seehunde schossen und ansonsten ganz wenig Handel trieben, hieß das Unglück der Anderen ihr eigenes Glück. Strandgut wurde zu einer wichtigen Einnahmequelle. Die Insulaner machten sich als Berger und als Retter, aber eben auch als Strandräuber einen Namen.
Daran dachte ich, als ich auf einer Düne am Strand mit dem Totenkopf stand und die Wellen beobachtete, bis die Kälte durch die Jacke gekrochen war. Welch ein besonderer Ort ganz oben im Norden, wo Sylt zu Ende geht.
Stefans neue Geschichte vom Meer spielt diesmal direkt am Strand. An einem besonderen Abschnitt ganz im Norden der Insel Sylt. Der Strand mit dem Totenkopf – viel Spaß beim Lesen!
Ganz oben im Norden, wo Sylt zu Ende geht, fast schon bei den Dänen, liegt die Halbinsel Ellenbogen. Ein viereinhalb Kilometer langes, maximal tausend Meter breites Paradies für Robben, Möwen und Schafe, die buchstäblich Vorfahrt haben.
Wer die einzige Straße durch die Dünenlandschaft nehmen will, muss Maut an einer Station entrichten, denn der Ellenbogen ist in Privatbesitz. Das schön gestaltete Eintrittsticket zeigt eine Karte, auf der ein Totenkopf eingezeichnet ist. Auf Höhe des kleinen Leuchtturms Westfeuer bedeutet jedes Bad Lebensgefahr.
An dieser Stelle stand ich am Wochenende, als Sturmtief Frederik über die Nordsee zog, und beobachtete die Wellen. Für eine Sturmlesung war ich auf die Insel gereist, zur Eröffnung der ersten „Sylter Sturmwoche“. In Begleitung eines alten Kapitäns, Peter Burhorn, der auf der legendären Viermastbark Pamir als Schiffsjunge in die Takelage kletterte. Draußen pfiff der Wind um das „Alt-Berlin“, einem gemütlichen Pub, betrieben von einem Schotten namens Steve. Vor allem Insulaner hörten zu, als ich Geschichten von Orkanen vorlas und der Käpt‘n vom Bordalltag erzählte.
Am Strand mit dem Totenkopf
Nach der Lesung blieb Zeit für einen Besuch des Ellenbogens, bevor der Zug zurück aufs Festland rollte. An diesen Orten ist Sylt so viel mehr als die Summe ihrer Klischees, von der Zahnarztgattin im Cayenne und den Millionären unter Reet. Sylt ist auch bodenständig, urwüchsig und echt, es ist ein wildes Land im Meer. Vor allem dann, wenn der Sturm aus Westen kommt.
Im Zeitalter der Segelschiffe bedeutete ein solcher Orkan, dass es mit ziemlicher Sicherheit zu einer Strandung kam. Auf der Nordsee war viel los Richtung Hamburg und Bremen oder um Skagen herum in die Ostsee, und waren die Kapitäne zu dicht unter Land überrascht worden, hatten sie oft keine Chance. Hunderte Schiffe strandeten an den nordfriesischen Inseln. Wie viele Seeleute dabei ums Leben kamen? Niemand vermag es zu sagen. Strand mit dem Totenkopf? Stimmt.
Für die armen Inselbewohner, die wegen der schlechten Böden kaum Ackerbau betreiben konnten, vielleicht ein paar Enten und Seehunde schossen und ansonsten ganz wenig Handel trieben, hieß das Unglück der Anderen ihr eigenes Glück. Strandgut wurde zu einer wichtigen Einnahmequelle. Die Insulaner machten sich als Berger und als Retter, aber eben auch als Strandräuber einen Namen.
Daran dachte ich, als ich auf einer Düne am Strand mit dem Totenkopf stand und die Wellen beobachtete, bis die Kälte durch die Jacke gekrochen war. Welch ein besonderer Ort ganz oben im Norden, wo Sylt zu Ende geht.
Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag. Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland. Gerade erschien sein neues Buch: „Muss das Boot abkönnen“.