Abriss von Sylt. In Stefans neuer Geschichte vom Meer geht es um einen Investor, der ein 372 Jahre altes Reetdachhaus einfach abreissen ließ. Nie war der Ausverkauf einer Insel und ihrer Geschichte so deutlich – und selten so frech.
Das Jahr beginnt mit wütenden Diskussionen über Anstand und Respekt. In Berlin und Hamburg und anderswo wurden Retter, die anderen in Not helfen, wie in der Schießbude auf dem Rummel mit Feuerwerk angegriffen und verletzt. Auf Sylt ließ ein Investor die Bagger rollen und mal eben ein 372 Jahre altes Reetdachhaus platt machen.
Keine Frage, die Attacken auf Gesundheit und Leben von Feuerwehrleuten, Polizisten und Rettungskräfte sind schäbiger. Doch was auf der Insel geschah, das ist auf seine Art auch ein Anschlag auf das Gemeinwesen.
„Historisches Reetdachhaus“, das klingt nach Bruchbude. War der „Alte Gasthof“ von List aber nicht – sondern ein wunderschönes, weißes Haus unter Reet, innen wie außen ein Juwel. Jede der handgemalten Bibelfliesen im Gastraum war um die 200 Euro Wert, und es gab eine Menge dieser Fliesen.
Es geht um viele Millionen Euro
Womit wir beim Thema sind: Geld. Die Fliesen wurden anscheinend gerettet, bevor man das Haus von 1650 dem Erdboden gleich machte. Auf dem Areal könnten, so wird auf der Insel vermutet, neue Einfamilienhäuser oder Ferienwohnungen entstehen. Es geht also um viele Millionen Euro.
Der Bürgermeister der Gemeinde, er heißt Ronald Benck, versuchte noch, das Kleinod mit einer Einstweiligen Verfügung beim Landesamt für Denkmalschutz zu retten. Zu spät. Nun wird Benck selbst attackiert, weil im nördlichsten Dorf Deutschlands manche fragen, warum der Gasthof nicht längst unter Denkmalschutz stand. Ich weiß nicht, ob dies zu den Aufgaben eines ehrenamtlichen Lokalpolitikers gehört. Mir scheint eher, dass die Anfeindungen Ergebnis einer schnellen Sündenbock-Suche sind.
Bürgermeister wehrt sich gegen den Abriss
Dabei ist nur einer verantwortlich: der Eigentümer. Gegen ihn hat Benck Strafanzeige erstattet. Aber selbst, wenn der Abriss irgendwann als illegale Aktion geahndet wird, bleibt es wohl eine Ordnungswidrigkeit. Maximale Geldbuße: 30.000 €. Die wird der Investor später nur für den Briefkasten aufrufen.
Im neuen Jahr wollte, so hört man, der Denkmalschutz das Reetdachhaus prüfen. Der Investor ließ also eilig die Bagger rollen, um Tatsachen zu schaffen. Er ist jetzt in den Urlaub gegangen, ebenso wie seine Firma. Den Sturm aus Wut und Entrüstung, der über die Nordsee zieht, will er anscheinend einfach aussitzen.
Der Ausverkauf der Inseln
Viel wird geschrieben über den Ausverkauf der Inseln und der Küste. Ich bin gespannt, wie die Insel mit diesem Mittelfinger zum Jahreswechsel umgeht. Ob das Baurecht und die Gemeindeordnung nicht Gegenmaßnahmen hergeben. Kann der Investor verpflichtet werden, das Haus wieder aufzubauen? Und falls nicht: Wie kommt man miteinander klar in einer Gemeinschaft zwischen den Wellen?
Vom alten Haus, das 372 Jahre lang allen Stürmen trotzte, ist nur noch ein Haufen Schutt übrig.
Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag. Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland. Gerade erschien sein neues Buch: „Muss das Boot abkönnen“. Am 14. Januar ist er mit einer Lesung auf Sylt! Alle Informationen gibt es HIER.