Einst war der Kiosk ein Treffpunkt der Malocher, heute ist er ein Kleinod der Kultur. Was einige Kreative in Hamburg-Harburg schufen, kann ein Beispiel sein für so viele Kulturprojekt in Deutschland. Stefans neue Geschichte vom Meer.
Im Harburger Hafen steht ein kleiner Kiosk, den ich liebe. Nicht nur, weil zwei Ankerherzen den Schriftzug schmücken. „Trinkhalle“ steht in großen Buchstaben drüber, „seit 1876“.
Als der Kiosk Blohmstraße vor einigen Jahren abgerissen werden sollte, rettete ihn die Initiative Harburger Kulturschaffender. Der ehemalige Treff der Hafenarbeiter ist heute ein „Kulturkiosk“. Noch bis Ende April stellt die Künstlerin Tan Bartnitzki darin aus. Ihr Konzept „Unser Späti“ ist den Zeiten eines fiesen Virus angepasst: Sie spielt mit Licht und Sound und einer Ausstellung auf den Außenwänden.
Kiosk der Kultur
Ich möchte meine Kolumne in dieser Woche Petra Kohlase-Müller und ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern in Harburg widmen. Sie haben mit ihrem Engagement einen solchen Ort bewahrt. Was geht verloren, wenn ein Viertel seine Wurzeln verliert? Viel zu oft werden Millionen Euro in neue Gebäude investiert, statt alte Schätze für die nächsten Generationen zu konservieren. Glas und Stahl ersetzen aber niemals Geist und Charakter.
Der Kiosk Blohmstraße wurde in einer Zeit eröffnet, als Harburg noch ein wichtiger Hafen der Provinz Preußen war. Leitungswasser war zu jener Zeit ungenießbar, und Arbeitgeber zahlten einen Teil des Lohnes in Form von Alkohol aus. Was zu berauschten Pausen führte, aber zu gefährlich wurde, als die Arbeiter große Maschinen bedienen mussten.
Trinkbude der Malocher
So entstanden Trinkbuden, in denen man alkoholfreie Getränke an die Belegschaft ausschenkte. Häufig wurden sie von Herstellern des Mineralwassers betrieben, aber es blieb natürlich nicht nur beim Wasser. Im Ruhrgebiet gehören sie nicht nur ins Stadtbild, sondern auch zur eigenen Identität.
Der Standort für die Harburger Trinkhalle war schlau gewählt, direkt vor der Brücke über den Lotsekanal. Viele Hafenarbeiter kamen auf ihrem Weg daran vorbei. Ist es auch der älteste Kiosk in Hamburg? Vielleicht. Es gibt eine Karte von 1893, in der ein kleines Gebäude eingezeichnet ist. Außerdem existiert eine uralte Fotografie. Sie zeigt eine Dame in weißer Schürze vor dem Gebäude. Das gerahmte Bild reichte der Inhaber stets an seinen Nachfolger weiter. Noch heute schmückt es den Kiosk.
Wiederaufbau mit Kutterteilen
Im Krieg wurde das Kleinod Trinkhalle beschädigt. Der Legende nach sollen beim Wiederaufbau Teile aus der Brücke eines Kutters eingesetzt worden sein. Fakt ist, dass der Kiosk seit den 1950er Jahren den Harburger Hafen mit allem versorgte, was ein Arbeiter in einer Pause brauchte: Kaffee, Bier, Pferdewurst, die Hamburger Morgenpost, vielleicht eine „bunte Tüte“ Süßes. Und am Tresen etwas Unbezahlbares: den neuesten Klönschnack.
Ein Ort, der schon immer so viele Geschichten erzählt hat – und der heute noch lebt. Dank engagierter Menschen, die mit ihrer Kreativität Alltagskultur pflegen. Danke.