Respekt im Hafen. Jede Woche schreibt Ankerherz Verlagsleiter Stefan Kruecken eine Geschichte vom Meer. In dieser Woche geht es um eine extragroße Leistung in den Docks von Bremerhaven.
Katastrophen dominieren die Nachrichten in diesen Tagen, es geht in der Hauptsache nur noch darum. Corona, überall. Donald Trump, der nicht gehen will, vermutlich, weil er fürchtet, dass ihn eine „Monopoly“-Karte erwartet: „Gehe ins Gefängnis. Begib dich direkt dorthin.“Dazu das, was von der deutschen Nationalelf übrig ist.
In der Flut mieser Dinge übersieht man leicht vermeintlich kleinere Geschichten, die aber groß sind und vieles erzählen. In den Docks von Bremerhaven zum Beispiel.
Wobei: Übersehen kann man die „Al Kharj“ kaum, einen 306 Meter langen und 40 Meter breiten Containerfrachter von Hapag-Lloyd. Momentan liegt der große Frachter an der neuen Westkaje im Kaiserhafen III, also der alten Bananenkaje (im Hafensprech „Alte Banane“ genannt). Für Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten in den Bredo Dry Docks, als erstes Schiff übrigens. Als ich vorgestern im Hafen war, verlegten Arbeiter noch die letzten Pflastersteine an der Kaje.
Schiff länger als die Schleuse
Das Schiff passierte am Sonntagnachmittag die 305 Meter lange Kaiserschleuse. Nein, ich habe mich nicht vertippt: Das Schiff ist wirklich einen Meter länger als die Schleuse.
Wie das funktioniert? Das Zauberwort heißt „Doppelschleusung“. Beide Schleusentore waren geöffnet, damit das Schiff ungehindert durchfahren konnte. Bislang war das von den Technikern nur im Model getestet worden, nicht aber unter realen Bedingungen mit einem solch großen Pott. „Ein heikles Manöver“ nannte es Henry Behrends, Chef der Hafenunterhaltung bei Bremenports, bereits beim ersten Testlauf vor drei Jahren.
Das Manöver ist deshalb heikel, weil der Hafen, wenn beide Schleusentore gleichzeitig geöffnet, keinen Schutz vor der Tide hat. Mit sechs Schiffen wird eine „Doppelschleusung“ nun geplant. Ich finde großartig, was die Profis im Hafen möglich machen. Angenehm auch, wie unaufgeregt sie darüber sprechen. Von einem „interessanten Job“ schreibt beispielsweise die Hafenlotsengesellschaft auf ihrer Facebook-Seite, ganz so, als sei das Ganze das Normalste der Welt.
Das Herz von Bremerhaven
Der Hafen bleibt das Herz von Bremerhaven, und dass es zuverlässig schlägt, liegt an der guten Arbeit tausender Männer und Frauen. Momentan wird im Hafen heftig gestritten, es geht um viel. Die Hafenbetreiber wollen nach erfolgreichen Jahren nun etliche Millionen Euro einsparen. Sie spüren die Konkurrenz in Rotterdam und Antwerpen und auch den gewachsenen Einfluss der Reeder, die mit Zusammenschlüssen die Machtverhältnisse zu ihren Gunsten verschoben haben.
Bremerhavens Hafenarbeiter droht, dass sie in diesem Spiel um Geld und Macht zermahlen werden. Sie sollen weniger verdienen, aber länger arbeiten? Keine schöne Kombination für Arbeitnehmer. Aber sie sitzen längst nicht alle in einem Schiff: Die einen haben die „guten“, alten Tarifverträge, die einen neue Abschlüsse mit weniger Leidensdruck. Es gibt obendrein Unterschiede, was die Effizienz der Kajen angeht. Die Lage ist also ziemlich komplex.
Respekt für die Arbeit
Was alles in allem für eine Stimmung sorgt, die manche als „trotzig“, andere sogar als „explosiv“ beschreiben. Droht nach vielen Jahren wieder ein großer Streik? Selbst ein solches Szenario, das vermutlich niemandem hilft, halten manche im Hafen für möglich.
An eines sollten sich die Verantwortlichen auf allen Seiten erinnern, auch in Zeiten, die an die Nerven gehen. Im Hafen wird professionell gearbeitet. Viele Menschen machen einen großartigen Job. Egal, was passiert und wie gestritten wird: Respekt vor dem, was auf täglicher Ebene geleistet wird, sollte über allem stehen.
Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet den Ankerherz Verlag. Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland. Ankerherz hat in den Havenwelten einen kleinen Shop.