Jeden Samstag veröffentlicht Ankerherz-Autor Dominik Bloh eine Kolumne, die auch in der Hamburger Morgenpost erscheint. „Auf den Straßen von Hamburg“ hat einen anderen Blick auf die Stadt. Diesmal: Ein Appell für mehr Empathie im Alltag.
Ich bin in der Innenstadt und ich sehe Elend an jeder Ecke. Es ist ein windiger Tag und die Häuserschluchten sind Windkanäle, in denen es kalt durchzieht. Ein Mann trägt einen blauen Müllsack über der Schulter. Seine Schuhe haben große Löcher. Seine viel zu weite Hose flattert, er hat Probleme, seine Jacke zuzukriegen.
Er bückt sich langsam und sammelt ein paar Münzen auf. Ich bin verwundert. Mir ist das Geld auf der Straße nicht aufgefallen. „Interessant“, denke ich mir, mein Blick ging auf sein Äußeres. Dieser Mensch ist viel mehr mit solchen Details beschäftigt, als mit seinem Aussehen oder einer offenen Jacke. Langsam richtet er sich wieder auf, verstaut die Cents in der Hose und wirft den Müllsack wieder über die Schulter. Die Jacke bleibt offen.
Eine Umkleidekabine mitten in der Stadt
An einer anderen Ecke beobachte ich eine Gruppe vor einem öffentlichen WC. Eine Frau hat mehrere große Hosen in der Hand, die sie. Die Männer gehen auf die Toilette, um die Hosen anzuprobieren. Eine Umkleidekabine der Straße.
Ein Mann mit zotteligem Bart sitzt neben Gebäuden, in denen sie Millionen verdienen. Er teilt sein Brot mit den Tauben, die umher laufen und die Krümel aufpicken. Ich bin kein Mensch, der gerne vergleicht, auch wenn ich es oft tue. Es geht Menschen schlecht. Man sollte dankbar sein für das, was man hat. Und alles wertschätzen, auch wenn man es für selbstverständlich halten mag.
Ich schreibe diese Kolumne im Zug Richtung Bochum, wo ich eine Lesung habe. Hier hat eben jemand durch den ganzen Waggon geschrien, wem denn der „verdammte Kinderwagen“ gehöre, der den Gepäckständer versperre? Alle Fächer waren frei. Dieser Mensch wollte seinen Koffer aber unbedingt unten abstellen.
Alle meckern, keiner hilft
Eine andere Szene: Eine Mutter mit drei Kindern, von denen sie eines auf dem Arm trägt, kämpft sich samt Gepäck durch den überfüllten Wagen. Sie ist falsch. Wir sind in Wagen 6. Ihr Ticket war für einen Viererplatz in Wagen 9. Die Bahn hatte die Wagennummerierung vertauscht, die Reihenfolge ist anders als angezeigt. Die Fahrgäste sagen: „Sie müssen wohl zurückgehen“, oder: „Sie müssen in den nächsten Wagon.“ Ist zwar Erste Klasse, aber sie dürfe das wohl. „So eine Sauerei“, schimpfen die Fahrgäste, „was für eine Zumutung für die Mutter und ihre Kinder.“
Zeit für mehr Empathie
Auf die Idee, die Plätze einfach zu tauschen, kommt keiner. Niemand steht auf und bietet seinen Sitz oder zumindest Hilfe an. Sie beklagen sich und haben Mitleid, aber die drei Wagen weiter soll die Frau mit den Kindern mal schön alleine gehen. Mein Arsch ja sitzt schon.
So gehen wir miteinander um. Egal ob auf der Straße oder in der Bahn. Ich finde: Es ist Zeit für weniger Ignoranz und mehr Empathie.