Der Zufall und der Sturm. Jede Woche schreibt Ankerherz Verlagsleiter Stefan Kruecken Geschichten vom Meer, die auch in der Hamburger Morgenpost erscheinen. Diesmal geht es um einen besonderen Sturm – und eine Begegnung, die Gänsehaut verursacht.
Die Film ist zu Ende, der Abspann läuft, und die Besucher verlassen das Kino. Es war die erste Film-Nacht von Ankerherz in den Lichtspielen Harsefeld. Wir zeigten „Der Sturm“, in dem George Clooney und Mark Wahlberg zu einer Crew von Schwertfischern gehören, die gegen den schwersten Orkan seit Beginn der Wetteraufzeichnungen auf dem Nordatlantik kämpft.
Ein älterer Herr kommt auf mich zu. Ich schätze, dass er Mitte 70 ist. Er hat Tränen in den Augen.
„Darf ich sie kurz sprechen?“ Natürlich.
„Der Film hat mich sehr aufgewühlt“, sagt der alte Mann. Dann erzählt er seine Geschichte
Im Film „Der Sturm“ gibt es eine Stelle, in der ein Fischer den angebotenen Job ablehnt. Er macht die Reise auf der Andrea Gail nicht mit, vordergründig, weil er ein anderes Angebot unter der Sonne von Florida hat. In Wahrheit aber, so ist es in der Buchvorlage noch besser beschrieben, weil ihn ein seltsames Gefühl umtreibt. Eine böse Ahnung, dass etwas nicht stimmt mit dieser Fangreise. Wenige Tage später sitzt er in der Hafenbar und hört fassungslos in den Nachrichten, dass der Trawler, auf dem er eigentlich sein soll, im Nordatlantik vermisst wird.
Die Fischer sind tot
Der alte Mann hat dies ganz ähnlich erlebt.
Im Juni 1963 sollte er als junger Matrose auf dem Heckfänger „München“ einsteigen. Damals galt der Trawler als eines der modernsten Schiffe der deutschen Fischereiflotte. Er war stolz darauf, er freute sich auf die Reise. Doch durch einen Zufall kam er nicht an Bord.
Dieser Zufall rettete ihm vermutlich das Leben.
27 Fischer ertranken im kalten Nordatlantik vor Grönland.
„Ich habe drüber nachgedacht, dass ich an Bord hätte sein sollen“, sagt er, drückt meine Hand. „Wäre ich dann jetzt hier? Hätte ich überlebt? Alles kam eben wieder hoch.“
56 Jahre später, in einem kleinen alten Kino im Süden von Hamburg.
Geschichten vom Meer
Vor kurzem traf ich für die Recherche an einem neuen Buch Kapitän Peter Burhorn, der noch heute als Schleusenwärter in Bremerhaven arbeitet. In den 1950-er Jahren lernte er das Handwerk des Seemanns auf dem Segelschiff „Pamir“ der Hamburger Reederei Laeisz. Er überlegte, nach elf Monaten an Bord bei der Stammbesatzung anzuheuern, doch es war kein Platz frei. So kam er auf einen Frachter, mit dem er nach New York City fuhr. Der Funker rief ihn im Hafen zu sich in die Bude, mit einer schrecklichen Nachricht: Die Pamir war gesunken, am 21. September 1957, in den haushohen Wellen eines Hurrikans. Nur sechs der 86 Besatzungsmitglieder überlebten den Untergang. Der Gedanke, dass er an Bord sein konnte, habe ihn sein Leben lang beschäftigt, erzählte mir Burhorn.
Welche Abzweigungen unsere Leben manchmal nehmen, von denen wir nichts ahnen?
Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag. Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland. Gerade erschien sein neues Buch „Kapitäne“ voller Geschichten vom Meer.