In einer neuen Folge von Stefans Kolumne geht es um eine Influencerin im Strandstress. Verbunden mit der Frage: Wie tief greift dieses ewige Schaulaufen eigentlich hinein in unser aller Leben?
Die Julisonne ließ sich im Schatten der hohen Pinien gut aushalten, das Meer schimmerte türkis, und in der Bucht lag eine wirklich schöne, alte Jacht vor Anker. Eine Kaltgetränksituation in Formentor, ganz im Norden von Mallorca.
Ich beobachtete von meiner Liege ein junges Paar, das sich am Spülsaum näherte. Die Frau bewegte sich seltsam, irgendwie ging sie unrund, seltsam starkselig, mit einem weit abgespreizten Arm und durchgedrücktem Kreuz. Nun erkannte ich auch den Grund: Sie filmte sich und jeden ihrer Schritte fortwährend mit einem Handy, das sie ihrem Partner übergab.
Kaltgetränk. Formentor. Eine Influencerin naht
Sie tapste ins Meer. Wieder und wieder, fünf Mal, zehn Mal, denn nach Qualitätskontrolle der Aufnahme war sie nicht mit ihrem Hintern einverstanden. So lief das weiter: Der junge Mann filmte, sie schüttelte den Kopf. Er knipste, bekam aber die Jacht nicht mit drauf oder die Pinien oder ihren Bikini oder was auch immer.
Anscheinend gab es nun ein drängendes Problem mit ihrer Frisur.
„Streng dich endlich an!“, schnauzte sie ihn auf Englisch an. „Du weißt doch, wie wichtig das hier ist!“
Der Kerl, er trug Bart, Sonnenbrille und Shorts, murmelte irgendwann „it´s so annoying“, es ist so nervig. Sie verlegte sich fortan auf Selfies: Schmollmund, gezuppelter Pony, jedes Mal, wenn ich in den nächsten Stunden hinschaute, fotografierte sie sich selbst.
https://www.youtube.com/watch?v=Op4k1B7ekbg
Es muss stressig sein, als Influencerin Urlaub zu simulieren.
Nichts ist mehr privat. Alles taugt als Bühne, als Laufsteg, als Kulisse für die nächste Eitelkeit. Social Media greift tief hinein in unser Leben. „Sofern wir es zulassen“, mag jetzt mancher denken, aber das stimmt nicht ganz.
Trubel am Leuchtturm
Als es Abend wurde, fuhren wir mit den Kindern zu einem Leuchtturm. Ein weißer Turm auf einer hohen Klippe vor blauem Meer am Ende einer kurvenreichen Straße. Wir wunderten uns über zahlreiche Teenager und junge Erwachsene, die mit Selfie-Sticks unterwegs waren. Eine Drohne surrte in der Luft. Sonnenuntergangsromantik? Es wirkte eher wie ein Foto-Workshop mit vielen Pubertieren.
Die Erklärung für den Trubel fanden unsere Kinder schnell heraus. Hashtags auf TikTok und anderen Plattformen, zehntausende Fotos und Bilder und „Reels“. Und damit verbunden der Drang, der nächste zu sein, der mit der Aufmerksamkeit für einen schönen Ort Reichweite erzielt. Reichweiten, „Gefällt mir“ und Follower, die neuen Währungen unserer Zeit.
Ob jemand auch die Magie des Moments einfing? Oder das Gefühl davon mitnahm? Mir fiel ein Song von „Deichkind“ ein: „Like mich am Arsch“.
Den Kerl, der die Influencerin von Formentor fotografierte, traf ich später in einer Strandbar wieder. Alleine. Er wirkte nicht wie jemand, der schöne Erinnerungen mit nach Hause nahm.
Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag. Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland. Gerade erschien sein neues Buch: „Muss das Boot abkönnen“.