Von der Solidarität einer Gemeinschaft im Meer. In Stefans Geschichte vom Meer geht es um ein trauriges Ereignis vor der Insel Jersey. Das dennoch zeigt, wie eine Gemeinschaft im Meer zusammenhält… Eine kleine Geschichte aus dem Dezember 2022.
Fünf lange Stöße aus dem Horn des Schiffs, dann ein lauter Knall. Der Kapitän der Fähre meldet über die Lautsprecher: „Das ist keine Übung. Mann über Bord. Crew auf Stationen!“
Es ist 5:30 Uhr am Donnerstagmorgen in der Bucht von Saint Ouens vor der Westküste der Insel Jersey. Ein ungemütlicher, kalter Morgen, Wind mit sieben Beaufort über dem Ärmelkanal. Das ist noch kein Sturm, aber lebhafter Wind. Die Fähre „Commodore Goodwill“, die auf dem Weg von Guernsey zurück in die Inselhauptstadt St. Helier ist, kollidiert mit einem Fischereiboot. (Eine andere Geschichte von Jersey liest Du HIER).
Solidarität auf See
Augenzeuge Richard Henry, ein Fernfahrer, einer von nur vier Passagieren an Bord, läuft hinaus auf Deck. Er sieht noch das Heck eines Trawlers, das in der Dunkelheit verschwindet.
Vermutlich sind dies die letzten Augenblicke im Leben von drei Fischern. Ihr Trawler „L’Ecume II“ sinkt. Sofort startet eine große Suchaktion. Einheiten der Seenotretter der RNLI sind dabei, zwei französische Helikopter starten vom nahen Festland. Ihre Scheinwerfer tasten die Wellen ab.
Die Nachricht vom Untergang verbreitet sich rasend schnell auf der Insel. Skipper Michael „Mick“ Michieli, ein erfahrener und respektierter Seemann, und zwei Crewmitglieder werden vermisst. Ein Foto zeigt einen grauhaarigen Fischer in einem Blaumann, der nach Arbeit aussieht, mit einem breiten Lächeln.
Fischer wollen helfen
In den Inselhäfen laufen mehrere Trawler und Sportboote aus. Trotz des schlechten Wetters, trotz des Wellengangs und sieben Beaufort. Die Männer wollen helfen, denn es kommt auf jede Minute an. Auf den AIS-Daten sieht man, wie sie Suchgebiet durchkämmen. Die Wassertemperatur des Ärmelkanals beträgt aktuell elf Grad. Lange kann das niemand überleben. „Fischer halten zusammen“, sagt Don Thompson, Präsident der Jersey Fishermen´s Association im Interview mit BBC Jersey. „Es ist gut, die Jungs alle da draußen zu sehen.“
Ich spüre einen Kloß im Hals, während ich dies schreibe. So sieht Solidarität in einer Gemeinschaft aus, die mit dem Meer lebt.
Die Crew eines Suchschiffs hat das Wrack der 18 Meter langen „L’Ecume II“ inzwischen geortet. Es liegt vierzig Meter tief auf Grund. Von den drei Fischern gibt es noch immer keine Spur. An Bord der Fähre gibt es keine Verletzten.
Es werden traurige Weihnachten für viele Familien auf Jersey.
Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag . Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland.